Predigt 19.04.20 Quasimodogeniti / Jesaja 40, 26-31
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Gottesdienst Quasimodogeniti - Ev.-Luth. Christuskirchgemeinde ChemnitzPredigttext: 2. Kor 5,19-21
26 Hebt eure Augen in die Höhe und seht! Wer hat all dies geschaffen? Er führt ihr Heer vollzählig heraus und ruft sie alle mit Namen; seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eins von ihnen fehlt. 27 Warum sprichst du denn, Jakob, und du, Israel, sagst: »Mein Weg ist dem Herrn verborgen, und mein Recht geht an meinem Gott vorüber«? 28 Weißt du nicht? Hast du nicht gehört? Der Herr, der ewige Gott, der die Enden der Erde geschaffen hat, wird nicht müde noch matt, sein Verstand ist unausforschlich. 29 Er gibt dem Müden Kraft und Stärke genug dem Unvermögenden. 30 Jünglinge werden müde und matt, und Männer straucheln und fallen; 31 aber die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie Adler, dass sie laufen und nicht matt werden, dass sie wandeln und nicht müde werden.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus
Liebe Gemeinde,
Das ist zum Verzweifeln! So sagen wir, wenn wir nicht mehr weiter wissen, wenn alle Möglichkeiten ausgeschöpft sind. Verzweiflung ist eine emotionale Reaktion auf eine als aussichtslos empfundene Situation. Verzweiflung ist Hoffnungslosigkeit.
Es ist zum Verzweifeln sagt der Schüler, der den Lernstoff einfach nicht kapiert. Zum Verzweifeln ist es für Menschen, die einer Sucht anhängen und davon nicht loskommen. Zum Verzweifeln ist es, wenn der Arzt sagt: Austherapiert. Für sie können wir nichts mehr tun.
Wie viele Menschen in diesen Tagen dem Verzweifeln nahe sind, lässt sich nur ahnen. Menschen, die um ihre Angehörigen bangen, die fürchten, sich oder andere anzustecken. Verzweiflung, wenn mein Geschäft droht, Pleite zu gehen oder das Kurzarbeitergeld nicht ausreicht.
Der Philosoph Sören Kierkegaard hat Verzweiflung eine Krankheit des Selbst genannt. Verzweiflung ist ein „Nicht-Selbst-Sein“ können. Fremdgesteuert werde ich gelebt von dem Problem, das mich erdrückt. Ich habe kein Vertrauen mehr zu mir. Traue mir nicht zu, in der Krise zu bestehen. Hilfe von außen wäre nötig, aber diese kommt nicht. Ich fühle mich schwach und alleingelassen.
Wer könnte auch helfen und wie sähe Hilfe aus? Gute Worte? Aber was sollen Außenstehende schon sagen. Sie stecken nicht drin. Ratschläge sind nicht angebracht, Erklärungen wirken belehrend, haben die Tendenz zu bagatellisieren, klingen manchmal wie Vorwürfe: Wieso hast du nicht gleich reagiert? Warum das nicht so gemacht? Solche Worte verstärken eher das Gefühl zu verzweifeln. Für den Glauben sind derartige Erfahrungen eine besondere Herausforderung. Jetzt muss sich bewähren, wovon wir reden. Was also bringt der Glaube gegen die Verzweiflung ins Spiel?
Der Predigttext, den wir gehört haben, spricht zu Menschen, die am Verzweifeln sind. Müde sind sie geworden. Sie haben versucht, die Krise anzunehmen, das Beste daraus zu machen, aber mit der Zeit ging es einfach über ihre Kräfte. Angesprochen sind die Juden im Exil. Gegen die Babylonier hatten sie den Krieg verloren. Jerusalem wurde zerstört, die Bewohner in die Gefangenschaft verschleppt.
Als Besiegte für die Sieger zu arbeiten, war anstrengend, vor allem aber demütigend und seelisch zermürbend. Was soll aus uns werden? Wohin führt das? Und, was trägt der Glaube nun aus? Der Gott ihres Glaubens hatte sich als schwach erwiesen. Er hatte die Katastrophe zugelassen, einfach nicht geholfen. Dabei ist die Hilfe des Herrn immer behauptet worden. Aber davon war wenig zu spüren.
Diesem geschlagenen Volk spricht der Prophet Jesaja Worte der Hoffnung zu, Worte, die wie ein Licht die Dunkelheit erhellen sollen:
Hebt eure Augen in die Höhe und seht, fordert Jesaja die Menschen auf. Damit lenkt er den Blick weg von den Sorgen und Ängsten, die wie große Steine den Weg versperren und den Blick verstellen.
Sorgen können uns gefangen nehmen. Wir denken an nichts anderes mehr. Wir sind nicht bei uns selbst, wie Kierkegaard es nennt, sondern immer nur beim Problem, das uns umgibt. Wir drohen dem zu erliegen. Seht auf, hebt eure Augen auf in die Höhe, ruft Jesaja uns zu.
Einen neuen Blick gewinnen, so beginnt die Wandlung für das Volk, beginnt der Weg von der Verzweiflung zur Hoffnung. Es sind nicht die üblichen Floskeln: Kopf hoch, es wird schon wieder. Oder: Augen zu und durch. Sondern: Hebt eure Augen in die Höhe. Nicht um eure Wirklichkeit zu verdrängen, sondern um die andere Wirklichkeit wahrzunehmen. Es gibt mehr zu sehen als euer Dilemma. Kein Trugbild, keine Träumerei, in die ihr euch flüchten sollt, sondern eine andere Wirklichkeit. Den anderen, dem ihr schon nichts mehr zutraut, der aber dennoch da ist. Zu ihm schaut hin.
Ein Perspektivwechsel wird eingeleitet: Hebt eure Augen in die Höhe. Wer hat dies geschaffen? Er ruft alle mit Namen. Seine Macht und starke Kraft ist so groß, dass nicht eines von ihnen fehlt. Ihr Israeliten, warum klagt ihr: Der Herr kümmert sich nicht um uns, unser Gott lässt es zu, dass uns Unrecht geschieht? Habt ihr denn nicht gehört, habt ihr es nicht begriffen. Der Herr unser Gott hat die ganze Erde geschaffen und er regiert sie für alle Zeiten. Er wird nicht müde. Seine Kraft lässt nicht nach. Seine Weisheit ist tief und unerschöpflich.
Perspektivwechsel! Jesaja lenkt den Blick auf Gott. Dazu nimmt er zunächst die Fragen und Klagen des Volkes auf: Hat uns Gott vergessen? Ist er zu schwach? Warum hilft er nicht? Ausgehend von diesen Fragen nach Gott kommt Jesaja auf die Macht Gottes zu sprechen. Dazu verweist er auf die Schöpfung und auf die Geschichte. Dort lässt sich Gott erkennen, daran lässt sich ablesen, wie er ist.
Dass Gott die Welt geschaffen hat, er sie erhält und bewahrt, dieser Gedanke wird im Volk Israel zur Zeit des babylonischen Exils neu entdeckt und wird für den eigenen Glauben wichtig: Die Welt gehört Gott und wir gehören zu ihm. Und solange das Leben weitergeht, ist das ein Zeichen, dass Gott sich von dieser Welt nicht losgesagt hat und er uns nicht aufgegeben hat.
In der Schöpfung das Walten Gottes wahrnehmen war für die Menschen der damaligen Zeit eine existentielle Frage: Ich bin bewahrt und gehalten. Ich gehöre zu Gott, so wie die ganze Welt ihm gehört. Ich weiß mich von seinem mütterlich-väterlichen Erbarmen getragen. Die Schöpfung ist mir dafür ein Zeichen. Ein Perspektivwechsel, zu dem uns Jesaja einlädt. Mancher hat seine Verzweiflung oder seine Depression dadurch überwinden können, weil er die Natur, darin das schöpferische Walten Gottes neu gespürt hat und gemerkt hat, das alles gilt auch mir, ich bin dort mit hineingenommen.
Vielleicht erleben wir in Coronazeiten den Frühling viel intensiver, nicht nur weil weniger Lärm auf den Straßen ist und der Himmel scheinbar blauer ist als sonst, sondern weil wir merken: Wir haben das Leben nicht im Griff. Wir sind nicht die Macher. Hier wirkt ein anderer und - Gott sei Dank – ist er hier am Wirken.
Schaut auf die Schöpfung, dort lässt sich Gott schauen. Und hört auf das, was Menschen mit ihm erlebt haben? Schaut auf die Geschichte. Habt ihr vergessen, wie Gott sein Volk aus Ägypten geführt hat? Habt ihr nie gehört von Abraham und Mose, von David und Elia. Dieser Gott ist immer noch derselbe, auch wenn die Erfahrungen von damals nicht eure Erfahrungen sind. Aber in dem, was die Menschen vor euch erlebt haben, zeigt sich der eine Gott, der treue Gott, der Gott für uns.
Jesaja ruft uns zu: Hört auf das, was andere mit Gott erlebt haben, damit ihr an Gott nicht irre werdet, damit euch die Verzweiflung nicht irre macht, damit ihr wieder Zuversicht findet. Gott ist mit seiner Kraft nicht am Ende. So haben ihn schon viele erlebt und deshalb braucht auch ihr nicht zu denken, er hätte euch vergessen.
Freilich, seine Weisheit ist unerforschlich. Warum uns Gott schwere Wege führt, bleibt verborgen und für uns unverständlich. Aber darin ist Gott souverän und nicht schwach. Er sitzt im Regiment und führt alles an sein Ziel und sein Ziel ist Heil und Errettung.
So spricht Jesaja Worte der Ermutigung: Gott gibt den Müden Kraft, Schwache macht er stark. Selbst junge Männer werden kraftlos, die Stärksten erlahmen. Aber allen, die auf den Herrn vertrauen, wird neue Kraft geschenkt. Es wachsen ihnen Flügel wie dem Adler. Sie gehen ohne müde zu werden, sie laufen und brechen nicht zusammen.
Wie finde ich zu neuer Kraft? Wie finde ich zu mir selbst und damit heraus aus der Verzweiflung, aus diesem Nicht-Bei-mir-selbst-sein? Naheliegend und von vielen propagiert, wäre die Antwort: Glaube an dich selbst. Traue dir wieder etwas zu, denke positiv von dir. Damit aber bin ich doch wieder nur bei mir und meinen Möglichkeiten.
Jesaja sagt anderes: Die da harren auf den Herrn, bekommen neue Kraft. Wir schauen in Gott den, der uns nicht aufgibt. Er hält an uns fest und setzt Vertrauen in uns. Und wenn Gott an mir festhält, kann ich es auch, wenn er Ja zu mir spricht, kann ich es auch. Ich glaube es Gott, dass er gute Absichten mit mir hat.
Wenn es stimmt, was Kierkegaard gesagt hat: Verzweiflung ist ein Nicht-Selbst-Sein, dann heißt Glauben, zu mir selbst finden, weil ich mich auf Gott verlassen kann. Weil ich mich an den halte, der mir Halt gibt. Weil ich mit dem in Beziehung trete, der mich liebt und mir nahe ist, statt dass ich nur in meiner Selbstbezogenheit und in meinen engen Grenzen verharre.
Ich finde mein Selbst im Du, hat Martin Buber dieses Geheimnis des Menschseins beschrieben und das große Du für uns ist Gott, der uns geschaffen und ins Leben geliebt hat. In Zeiten, die zum Verzweifeln sind, wird mir bewusst, wie sehr ich auf dieses Du angewiesen bin. Von ihm her empfange ich, was ich mir selbst nicht geben kann, ihm kann und darf ich mich getrost überlassen, ihm vertrauen.
Für solches Vertrauen gibt es keine Methode, auch kein Soll, das zu erfüllen ist. Vertrauen lässt sich nur leben. Es ist die Haltung, die ich Gott gegenüber einnehme, die Entscheidung, die ich treffe, die Beziehung, die ich eingehe. Solcher Glauben umfasst unser Leben.
Wohl gibt es Formen, in denen der Glaube gelebt wird, Praktiken um ihn einzuüben. Glauben ist etwas sehr persönliches, aber er wird mit anderen gelebt. Die Gemeinschaft wird mir zur Kraftquelle, der Gottesdienst, das Abendmahl. Wenn wir das derzeit vermissen, lernen wir den Wert dessen hoffentlich neu zu schätzen.
Ferner ist der Glaube an das Wort gebunden. Wir leben von Zusagen, die wir uns selbst nicht sagen können. Gott spricht sie uns zu, andere vermitteln sie uns weiter, so wie Jesaja es tut. So weiß sich der Glaube dem Wort verbunden und davon getragen.
Zwei starke Bilder dafür, was der Glaube bewirkt, gebraucht Jesaja am Ende: Denen, die auf den Herrn vertrauen, werden Flügel wachsen wie einem Adler, der den Horizont überwindet, der erhaben und mühelos über den Dingen schwebt, als würde er getragen.
Nicht die Dinge, die Probleme, die Sorgen besitzen mich und drücken mich nieder. Denen gegenüber erfahre ich im Glauben Freiheit. Wohl dem, der solche Freiheit, soll ich sagen solches Abheben erfahren hat.
Abheben, den Boden verlieren, kann ja auch gefährlich werden. Gut, dass es ein zweites Bild gibt, das Bild vom Weg, der zu gehen ist. Wer auf Gott vertraut, geht los und wird nicht müde, er läuft und bricht nicht zusammen. Er wird seinen Weg finden und ihn gehen, selbst wenn dieser mit Schwierigkeiten und Gefahren gepflastert ist.
Hieß es zunächst: Schau weg, seht auf, heißt es nun: Schau hin, nimm deinen Weg an, tue den nächsten Schritt. Die Kraft, die Gott uns schenkt, ist für das Leben auf der Erde gedacht, für den Weg, den wir hier zu gehen haben, auch in schwierigen Zeiten.
Es ist zum Verzweifeln. So kann ich auf das reagieren, was mir zugemutet wird, mich scheinbar überfordert, mich nicht Mich-Selbst-sein lässt. Oder ich schaue auf Gott, der mir zuspricht: Verlass dich auf mich, vertrau mir. Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure
Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Fürbittengebet
Du Auferstandener, Christus, unsichtbar bist du in unserer Mitte.Zu dir beten wir.
Du bist das Leben. Du hast dem Tod die Macht genommen.Doch wir erleben, wie der Tod immer noch nach uns greift.Wir bitten für die, die gegen den Tod ankämpfen,für die, die dem Tod ausgeliefert werden, für die, deren Kräfte versiegen.Nimm uns die Angst. Schenk uns Glauben.
Singspruch: Du verwandelst meine Trauer
Christus, du Auferstandener. Du bist das Leben.Du schenkst den Frieden, der die Welt überwindet.Doch wir erleben, wie weiter Unfriede herrscht.Wir bitten um deinen Frieden für die Menschen in Syrien,deinen Frieden für alle, die eingesperrt und bedrängt werden,deinen Frieden in unseren Häusern und Familien,in unserer Nachbarschaft, in unserem Land.Nimm uns die Angst. Schenk uns Frieden.
Singspruch: Du verwandelst meine Trauer
Christus, du Auferstandener. Du bist das Leben.Du gibst den Müden Kraft. Du lässt uns aufatmen.Wir danken dir für deinen Geist, der uns ermutigt.
für den Glauben und für dein Wort, die uns Halt geben.Wir bitten für die Menschen an unserer Seite, deren Nähe uns gut tut.
Wir bitten für uns. Nimm uns die Angst. Schenke uns Hoffnung. Singspruch: Du verwandelst meine Trauer
Wir beten gemeinsam: Vater unser im Himmel
Verfasser Predigttext: Pfarrer Daniel Förster