Predigt Palmarum 2020 / Markus 14, 3-9

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Predigttext: Mk 14. 3-9

Und als er in Betanien war im Hause Simons des Aussätzigen und saß zu Tisch, da kam eine Frau, die hatte ein Alabastergefäß mit unverfälschtem, kostbarem Nardenöl, und sie zerbrach das Gefäß und goss das Öl auf sein Haupt.  Da wurden einige unwillig und sprachen untereinander: Was soll diese Vergeudung des Salböls?  Man hätte dieses Öl für mehr als dreihundert Silbergroschen verkaufen können und das Geld den Armen geben. Und sie fuhren sie an.

Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bekümmert ihr sie? Sie hat ein gutes Werk an mir getan.  Denn ihr habt allezeit Arme bei euch, und wenn ihr wollt, könnt ihr ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit. Sie hat getan, was sie konnte; sie hat meinen Leib im Voraus gesalbt zu meinem Begräbnis. Wahrlich, ich sage euch: Wo das Evangelium gepredigt wird in der ganzen Welt, da wird man auch das sagen zu ihrem Gedächtnis, was sie getan hat.

Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus.

Liebe Gemeinde,

„Das ist doch verrückt!“ Solche Sätze sagen wir, wenn Menschen etwas tun, was für uns nicht infrage käme. Für mich z.B. wenn sich jemand von einer Brücke hinabstürzt, nur mit einem Gummiseil gesichert. bungee jumping ist doch verrückt, oder? Wer so etwas tut, sucht den Kick. Er braucht den Adrenalinstoß, um sich zu spüren, um sich als lebendig wahrzunehmen. Mir bleibt das fremd.

Manche machen verrückte Sachen, weil sie einem Menschen zeigen wollen, was er ihnen bedeutet. Ein Bauer hat die Aussaat auf seinem Feld so ausgebracht, dass im Sommer von oben zu lesen war: Ich liebe dich. Die Gruppe Revolverheld singt von ähnlichen Sachen: Ich lass für dich das Licht an obwohl's mir zu hell ist. Ich hör mit dir Platten, die ich nicht mag. Ich bin für dich leise, wenn du zu laut bist. Renn' für dich zum Kiosk, ob Nacht oder Tag – alles nur, weil ich dich mag. Verrückte Sachen - aus Liebe getan. Für Außenstehende sind solche Verrücktheiten irrrational, kostspielig oder gar gefährlich. Für die betreffende Person sind sie völlig logisch, konsequent. Kann gar nicht anders sein, weil die treibende Kraft dazu aus ihrem Herzen kommt. Das bin ich, so will ich sein.    

Das ist doch verrückt! Wahrscheinlich haben die Männer, die mit Jesus  im Haus des Simon zu Tisch saßen, so gedacht, als die Frau kam, um Jesus zu salben. Dass sich eine Frau in solch eine Männerrunde wagt, ist mutig. Aus Sicht der Jünger gehört sie dort nicht hin.

Und dann schüttet sie Jesus auch noch das Salböl auf den Kopf. Nicht nur ein paar Tropfen, die hätten ja genügt. Nein, sie muss die Flasche aufbrechen und den Inhalt komplett ausschütten. Jetzt riecht es überall danach und Jesus steht regelrecht begossen da. Und erst der Preis! Dreihundert Silbergroschen, fast das Jahresgehalt eines einfachen Arbeiters. Einfach so dahin. Was hätte man dafür nicht alles kaufen können? Das ist doch verrückt, oder!

So sehen es die Jünger. Sie sind unwillig, heißt es im Text, verärgert, regelrecht zornig. Sie haben gute Argumente, nüchtern analysiert und geistlich begründet. Ihre Argumente sind ethisch-moralisch ehrenhaft. Man könnte das Geld den Armen geben, etwas Nützliches damit tun. Stattdessen diese Verschwendung – für nichts.

Wahrscheinlich denken die Jünger, dass Jesus das auch so sieht. Schließlich gilt seine Zuwendung den Armen, er hat sie selig gesprochen. Er hat gerechtes Handeln gefordert, zum Teilen aufgerufen.

Aber erstaunlich, um nicht zu sagen verrückt, wie Jesus regiert. Er verteidigt die Frau, ergreift für sie Partei, schützt sie vor den Angriffen der Jünger. Sie hat es für mich getan, hält er ihr zugute. Ein gutes Werk getan, das nur jetzt möglich und nicht wiederholbar ist. Sie hat mich für meinen Tod gesalbt. So deutet er die Handlung der Frau. Das hatte die Frau sicher nicht im Sinn, hat gar nicht geahnt, welche Symbolik in ihrer Tat liegt. Sie wollte schlicht zeigen, wie viel ihr Jesus bedeutet.   

Das sieht Jesus, er schaut ihr ins Herz, nimmt ihre Motivation wahr. Er sieht die Liebe der Frau und was sie aus Liebe tut. Das würdigt er, statt es zu kritisieren. Er lässt die Frau gewähren, statt sie zu belehren, er schätzt ihren Einsatz, statt diesen abzuwerten.

Es sind die Jünger, die von ihm belehrt werden. Die, mit ihren guten Gründen und einsichtigen Argumenten. Sind ihre Argumente  nur ein Vorwand gewesen, weil die Frau etwas gibt, was sie nicht geben können? Sie tut, was sie kann, sagt Jesus und fragt damit die Jünger: Was tut ihr? Wird ihnen durch diese selbstlose Art der Frau bewusst, was sie zurückhalten, was sie Jesus - oder auch den Armen - verwehren? Was sie alles nicht tun, obwohl sie es könnten?

Ihre vernünftigen, geistlich gut begründeten Argumente klingen nach Verteidigung. Die Frau zeigt Herz, das aber fehlt den Jüngern. Sie haben kein Herz für die Frau und deren Tat, so wie Jesus ein Herz für sie hat. Und es fehlt den Jüngern an Herz für Jesus. Ein schwerer Vorwurf, aber nur wenig später werden sie Jesus im Garten Gethsemane verlassen, werden ihn verraten wie Judas und verleugnen wie Petrus.

Gut möglich, dass sie ihr Unvermögen spüren und die Tat der Frau abwerten, um von sich abzulenken. Das kenne ich von mir auch - leider. Ich kritisiere die guten Taten von anderen, um von meinem Nichtstun abzulenken. Vielen scheint es so zu ergehen. Sie nennen das, wie sich andere engagieren, abwertend Gutmenschentum oder Gefühlsduselei.

Sie erklären, dass das sowieso nichts bringt und völlig sinnlos ist – Flüchtlinge im Mittelmeer retten zu wollen oder fair gehandelte Produkte kaufen, auf Flugreisen verzichten oder freiwillig auf der Autobahn 130 fahren. Wir regen uns darüber auf, wenn andere versuchen, Gutes zu tun und wollen doch nur von uns und unseren Versäumnissen ablenken. Und Jesus durchschaut das und sagt: Die Frau hat ihr Möglichstes getan. Das schätze ich. Er stellt damit die Frage an die Jünger: Und ihr, die ihr euch erbost? Was setzt ihr ein? Welche Motivation treibt euch?  Was bin ich euch wert?

In Corona-Krisenzeiten nehmen wir plötzlich Menschen wahr, die sonst schnell übersehen werden und die doch dafür sorgen, dass auch in normalen Zeiten der Laden läuft - die Kassiererin an der Kasse, die Krankenschwester auf Station, der Paketbote. Schön, wenn diesen Leuten gedankt wird, abends 19 Uhr mit Beifall vom Balkon.

Schön, wenn wir das wertschätzen, was andere Gutes tun, und nicht nur meckern und besser wissen, was man noch hätte tun sollen. Schön, wenn davon etwas bleibt, auch nach Corona. Dieser Dank gilt übrigens auch denen, die zu entscheiden haben und als Politiker Verantwortung tragen und bei uns oft schlecht wegkommen. Passt auf euch auf, was ihr tut oder nicht tut. Die unausgesprochene Kritik Jesu an seinen Jüngern.  

Und was ist zu tun? Den Armen helfen oder Jesus ehren? Brot für die Welt oder Parfüm für Jesus hat jemand mit Blick auf die Geschichte formuliert. Was erhält den Vorrang? Ist das überhaupt eine Alternative oder gehört beides zusammen? Gottesliebe und Nächstenliebe - für Jesus die Zusammenfassung der Gebote - wie stehen sie zueinander?

Man hätte das Geld den Armen geben können, sagen die Jünger. Man kann auch etwas für mich tun, hält Jesus dagegen. Den Armen zu helfen ist schon zur Jesu Zeiten ein wichtiges Gebot. Daran hält er fest: Arme habt ihr allezeit. Diese Aufgabe bleibt euch – unbestritten! Das ist euer Kerngeschäft.

Jetzt aber, in dieser besonderen Stunde, kurz vor seinem Tod, hat auch anderes seinen Sinn; das, was Jesus ehrt und ihn würdigt. Also doch Alternativen: Gottesliebe und Nächstenliebe?  Ja, manchmal gilt es abzuwägen. Letztes Jahr haben wir in Adelsberg im Kirchenvorstand beraten, ob wir neue Abendmahlsgeräte anschaffen. Zwei Kelche, vom Goldschmied gefertigt, aus Silber bestehend, innen vergoldet. Sie hatten ihren Preis. Das Abendmahl muss uns das wert sein, sagten die einen. Die anderen erwiderten: Jesus hätte nie aus einem Silberkelch getrunken.

Beim Abwägen der Argumente kam uns diese Geschichte in den Sinn. Und wir haben entschieden: Wir unterstützen das Anliegen, diese Kelche zu erwerben. Wir suchen Menschen, die dafür ein Herz haben, für die das dran ist. Das Vorhaben wird aus Spenden finanziert, Haushaltmittel setzen wir dafür nicht ein. Schon gar nicht kürzen wir Gelder, mit denen wir Menschen in Not helfen wollten. Die Kelche sind inzwischen bezahlt und in den Dienst genommen. Es war ein Abwägen: Was ist dran, womit ehren wir Jesus?

Manchmal höre ich, wie Leute sagen: Statt die Hände zum Beten zu falten oder zum Lobpreis zu erheben, solltet ihr lieber etwas tun, die Hände arbeiten lassen. Manchmal hört sich das noch vorwurfvoller an: was bringt es, ständig in die Kirche zu rennen. Solche Vorwürfe verletzen, sie treffen mich an einer Stelle, die mein Herz berührt, so wie die Vorwürfe der Männer die Frau verletzt haben. Gut zu wissen, dass Jesus sie in Schutz nimmt, ihr Tun zu schätzen weiß.

Dennoch bleibt das andere Anliegen bestehen: Arme habt ihr allezeit bei euch und an sie seid ihr gewiesen. Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten. Das eine tun, ohne das andere zu lassen, darauf kommt es an. Jesus selbst durchbricht den scheinbaren Gegensatz zwischen Gottesdienst und Dienst am Menschen.

Im Gleichnis vom Weltgericht sagt er: Was ihr für die Armen, den geringsten Brüdern und Schwestern getan habt, das habt ihr mir getan. Wer Gott Gutes tun möchte, tue es an den Menschen und es wird bei Gott ankommen. Kein Gegensatz also, sondern eine sinnvolle Ergänzung. Und anderseits heißt es: Die Hände, die zum Beten ruhn, die macht er stark zur Tat. So hat es Jochen Klepper gesagt. Etwas für Gott einsetzen - Zeit, Geld, Gaben, Salböl, was auch immer - und es mit Herz geben, mit Hingabe, das wirkt sich aus, das verändert uns.

Wer schwer Zugang zum Glauben findet, hält das für nutzlos oder für Verschwendung, so wie ich bungee jumping für gefährlich halte. Und tatsächlich ist der Glaube gar nicht darauf ausgerichtet, zweckmäßig zu sein, Nutzen zu erzielen oder ein Ergebnis zu liefern. Solches Denken ist dem Reich Gottes fremd.

Der Glaube ist darauf aus, Sinn zu stiften und will dem Leben dienen. Zu diesem Leben gehört die Beziehung zu meinen Mitmenschen und die Beziehung zu Gott. Dieser Sinn, der von Gott herkommt, erschließt sich jedoch nur dem Glaubenden. Nur wer mit dem Herzen dabei ist, wird dazu Zugang finden. Ohne dem wirkt es eher befremdlich, wirkt wie Zeitvergeudung, Geldverschwendung oder gar wie Manipulation, irrational, gefährlich oder verrückt.

Wer sich auf den Glauben einlässt, wird merken: etwas passiert mit mir. Von dem, was ich einsetze, kommt etwas zurück. Das tut mir gut, das hilft mir, das bringt mich voran. So wie es mir gut tut, mich für andere zu engagieren, so tut es mir auch gut, für Gott da zu sein.

Gerade in Zeiten, die uns fordern, in Krisenzeit,  müssen wir aufpassen, dass wir die Balance halten, uns nicht verausgaben, uns vor lauter Tun und Schaffen  nicht übernehmen. Gut, wenn ich da merke: Was ich Gott gebe, was aus meinem Herzen kommt, kehrt auch wieder zurück. Wir halten ihm unsere leeren Hände hin, unser Unvermögen, unser „Mehr kann ich nicht tun“, und vertrauen darauf, dass Jesus das sieht und es anerkennt. Er rechtfertigt uns, nicht wir uns selbst.

So, wie er es bei dieser Frau in der Geschichte tut. Die Frau hat getan, was sie konnte. Sie hat Mut bewiesen, sich in diese Männerrunde einzumischen, sie hat wertvolles Öl für Jesus gegeben. Für sie war das stimmig, so wie wenn jemand aus Liebe etwas Verrücktes macht. Alle andern schütteln den Kopf, für den Betreffenden fühlt es sich richtig an. Denn es geht nicht um Pflichten oder um Vorschriften. Es geht auch nicht darum, zu tun, was die anderen von mir erwarten oder mir vorschreiben. Es geht um mich. So bin ich, das will ich sein.  

Es geht um Beziehung, um eine innere Haltung, die nahe bei Jesus sein möchte und deshalb auch nahe bei den Menschen ist. Das sieht Jeus bei der Frau, darin nimmt er sie ernst und nimmt sie gegenüber Angriffen in Schutz. Er bestärkt sie. Ausgerüstet mit seiner Kraft kann sie gegen die Abwertungen und Anfeindungen der anderen bestehen.

Gott dienen zu wollen, ist nie nur eine Einbahnstraße, denn zuerst und vor allem dient Gott uns. Was die Frau bewogen hat, Jesus aufzusuchen und zu salben, wird nicht erzählt. Sicher hat sie ihn erlebt, ist von ihm angesprochen worden, von ihm angetan gewesen. Jetzt will sie ihm  etwas zurückgeben. Sie gibt etwas Kostbares. Ihr Salböl. Ihr Herz.

Hingebende Liebe setzt voraus, dass unser Herz dabei ist und dass es nicht nur ein verstandesmäßiges Berechnen ist, ein vernünftiges Kalkulieren. Und letztlich ist unsere Hingabe nur eine Reaktion auf das, was Gott in Christus für uns schon getan hat. Denn Gott hat sich hingegeben für uns, hat sich unserer liebend erbarmt. Er hat für uns das kostbarste gegeben, dass er besaß: seinen Sohn.

Er sah es nicht als Verschwendung an, ihn zur Welt zu geben und in den Tod zu schicken.  Verrückt, was Gott da getan hat. Ja, aber verrückt aus Liebe. Was wir ihm geben können, ist nur eine Antwort darauf, wir antworten auf seine Liebe mit der unseren, die wir ihm und unserem Nächsten erweisen. Amen.

Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure Herzen und Sinne in Christus Jesus.

Fürbittgebet:

Wir wollen beten und Fürbitte halten. Es wird während der Gebetszeit die Möglichkeit geben, dass sie ihre Anliegen selbst aussprechen können. Dazu erklingt leise Musik. Wir schließen mit dem Vater unser.

Herr, unser Gott, du bist für uns wie Mutter und Vater,
wir kommen zu dir wie Kinder voller Vertrauen, wir wollen dir nahe sein, denn bei dir finden wir Frieden und Geborgenheit.
Dafür danken wir dir und ehren dich.

Wir suchen deine Nähe und bringen mit, was uns bewegt
Wir klagen dir unsere Not:
Ratlos sind wir, unruhig und aufgewühlt.
In Sorge sind wir um unsere Angehörigen, um die Menschen in unserer Nähe, darum, wohin uns diese Krise noch führt.
Bedrückt sind wir, und wir bringen unsere Angst vor dich.
Wir bitten, erbarme dich unser.

Dankbar sind wir für alle Menschen, die uns zur Seite stehen,
für die, die sich für andere einsetzen,
für die, die den Mut haben, Entscheidungen zu treffen.
Wir bringen unseren Dank für sie vor dich und bitten dich für sie:
leite sie mit deinem Geist, gib ihnen Kraft und Stäke,
bewahre sie vor Krankheit und Resignation.

Mitten hinein in unsere Angst schenkst du uns das Leben.
Du schenkst uns Gemeinschaft und die Fürsorge durch Freunde und Nachbarn.
Du schenkst uns Inspiration und Freundlichkeit, gute Worte und schöne Musik, du schenkst uns Glauben, Liebe und Hoffnung.

Dir vertrauen wir uns an – heute und morgen und an jedem neuen Tag.
Was uns noch bewegt, das sagen wir dir in der Stille: (Musik)

Vater unser

Verfasser Predigttext: Pfarrer Förster

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