Predigt Karfreitag 2020 / 2. Korinther 5,19-21
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Andacht zu Karfreitag - Ev.-Luth. Christuskirchgemeinde ChemnitzPredigttext: 2. Kor 5,19-21
19 Denn Gott war in Christus und versöhnte die Welt mit ihm selber und rechnete ihnen ihre Sünden nicht zu und hat unter uns aufgerichtet das Wort von der Versöhnung.
20 So sind wir nun Botschafter an Christi statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi statt: Lasst euch versöhnen mit Gott! 21 Denn er hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus
I Zur Versöhnung über die Sünde
Liebe Gemeinde,
Gott war in Christus und hat jeden einzelnen von uns mit sich versöhnt. Vielleicht fragen sie sich jetzt verwundert: „Wieso? Was habe ich falsch gemacht, dass ich mich mit Gott versöhnen lassen müsste?“
In unserem Alltag sprechen wir oft von kleineren und größeren „Sünden“, die wir begehen. Damit meinen wir für gewöhnlich Verstöße gegen allgemein anerkannte Regeln. Doch fallen wir nicht in Ungnade bei Gott, weil wir etwa mal wieder zu viel geschlemmt oder die Musik zum Missfallen der Nachbarn zu laut abgespielt haben. Gott bewertet nicht jede menschliche Handlung, um sie dann in seine himmlischen Bücher entweder bei Gut oder Böse einzutragen. Viel schwerer als einzelne „Laster“ – moralische Fehltritte – wiegt unsere Grundhaltung. Es liegt in der menschlichen Natur, sich im Unglauben von Gott abzuwenden oder sich in Selbstüberschätzung über ihn zu erheben. Spricht man theologisch von „Sünde“, ist genau dieses Grundübel gemeint. Infolgedessen geht die vertrauensvolle Beziehung zu Gott in die Brüche, ein Graben entsteht – es bedarf der Versöhnung.
Selbstverständlich wird niemand gerne mit eigenen Fehlern konfrontiert. Und mit dem Begriff „Sünde“ möchten wir am liebsten erst recht nichts zu tun haben. Wir verbinden diesen Begriff häufig mit unzeitgemäßen oder genussfeindlichen Vorschriften. Ist das Gerede um Schuld und Sünde überhaupt nötig? Ja, sehr sogar! Das Wort „Sünde“ ist im Grunde von positiver und erhellender Kraft. Durch das Bewusstsein für die eigene Sündhaftigkeit setzt ein Erkenntnisprozess ein. Er führt uns zur Wahrheit über Gott, seine Liebe und über uns selbst. Er leitet uns über das eigene Unvermögen der Selbstrechtfertigung und das göttliche Erbarmen zu einer neuen, heilen Beziehung zu Gott. Versöhnung kann es nur geben, wenn wir zuvor reinen Tisch machen. Nur wer offen und offensiv mit eigenen Fehlern umgeht, erfährt Versöhnung. Das erleben wir in unserem Alltag oft genug. Wer einsieht, dass er sich von Gott entfernt hat, wird zu Frieden mit Gott finden. Die eigene Schuld einzugestehen ist kein Ausdruck der Kapitulation, sondern ein Ausdruck der Befreiung und des Neuanfangs.
II Das Geheimnis des Kreuzes
Sich nach einem Streit zu versöhnen, ist nicht immer leicht. Das lehrt uns die Erfahrung. Allzu schnell verhärten sich die Fronten. Man möchte nichts mehr voneinander wissen, bewegt sich kein Stück aufeinander zu. Auch Gott hätte so reagieren können. Doch er entschied sich für die Vergebung und entkrampfte die verhärtete Beziehung zwischen uns Menschen und ihm. Der Weg, den er dazu wählte, lässt uns immer wieder neu staunen. Er ist wie ein Geheimnis, das wir von Mal zu Mal mehr verstehen. Und je mehr wir davon verstehen, desto großartiger und unfasslicher erscheint es uns. Gott war in Jesus Christus. Um die trennende Kluft der Sünde zu schließen, ließ sich unser himmlischer Vater auf den Erdenweg seines Sohnes ein. Gott wurde Mensch und verzichtete aus Barmherzigkeit auf seine Machtstellung. Er begegnete den Sündern nicht als unnahbar Thronender, sondern beim Mahl an ihrem Tisch. Er zeigte sich nicht als strenger Richter, der fein säuberlich das Buch der Anklage führt, sondern als naher Gott, der das Leben schenkt. Und er ging den Weg des Dienens stellvertretend für die Verurteilten bis an das Todesholz.
Der versöhnende Gott bleibt vom Kreuz nicht unberührt. Das ist das Geheimnis und der Kern des christlichen Glaubens. Gott war in Christus, dem Gekreuzigten. Sonst wäre der Tod des Mannes aus Nazareth nur ein bedauerlicher Zwischenfall gewesen, nicht aber ein Geschehen zur Versöhnung der ganzen Welt. Gott war in Christus. Sonst wäre die Passionsgeschichte nicht mehr als das ergreifende Schicksal eines guten Menschen, zerrieben im Räderwerk von Macht und Bosheit. Gott war in Christus. Sonst bestünde kein Grund dafür, dass die Kirche seit 2000 Jahren von diesem Mann spricht. In Jesus Christus hat sich der Schöpfer der Welt in den Tod am Kreuz verstricken lassen. Gott teilte im Schicksal seines Sohnes den Weg aller Menschen. Er wurde verwickelt in den Kampf mit der Angst, der Sorge, der Sünde und dem Tod. Durch das Leiden und Sterben seines Sohnes am Kreuz wird Gott zum liebenden Vater für einen jeden von uns.
III Das Geschenk der Versöhnung
Die Versöhnung mit Gott ist die Frucht des Karfreitags. Sie erwächst allein dem Handeln Gottes. Das ist manchmal schwer erträglich für uns Menschen einer leistungsorientierten Gesellschaft. Zwar möchten wir, dass Gott unsere Schwächen übergeht und ignoriert. Doch soll er uns primär wegen des Guten in uns anerkennen und schätzen. Nehmen wir den christlichen Glauben ernst, müssen wir uns von dieser Denkrichtung lösen. Nicht eigene Leistung oder persönliche Versöhnungsbereitschaft sind entscheidend. Gott wandte sich uns bereits gnädig zu, noch lange bevor wir etwas verstanden, geglaubt oder entschieden hatten. Das Wesen des Glaubens besteht im reinen Empfangen des Heils. Gott gehörte die Initiative. Er stiftete die Versöhnung zwischen sich und der Welt.
Wie sich diese Versöhnung vollzog, lässt uns Paulus erkennen. Er benutzt das griechische Wort „Austausch“ (katallagē) für das göttliche Versöhnungshandeln. Gott brachte die Versöhnung zu den Menschen, indem er den Platz mit den Sündern tauschte. Auf den sündlosen Jesus von Nazareth wurde alles geladen, was unser Verhältnis zum himmlischen Vater zerrüttete. Wir hingegen wurden in den Bereich der Sündlosigkeit und des Lebens hinübergezogen. Unter der Sünde ist deshalb kein Raum mehr für uns; Jesus füllt ihn aus. In seinem Werk der Versöhnung räumt uns Gott den Platz seines lieben Sohnes ein. Schaut er uns in die Augen und in das Herz, erblickt er darin Herz und Augen Jesu – er sieht die Gerechtigkeit.
IV Im Botschafterdienst für den Gekreuzigten
IN der Versöhnung mit Gott zu leben bedeutet nun auch, AUS dieser Versöhnung zu leben. Paulus spricht ganz konkret von einem Botschafterdienst für den Gekreuzigten als Lebensaufgabe.
Von Gottes Gnade zu erzählen und sein gutes Wort der Versöhnung in der Welt zu verkünden, ist das Vorrecht und die Freude eines jeden Christen. Alle Menschen sind Geschöpfe Gottes und Mitangesprochene des Evangeliums. Um der Wahrheit willen machen wir uns auf den Weg zu denen, die noch nicht von Gottes freimachender Gnade erfahren haben. Das christliche Bekenntnis ist dabei aber niemals als Herrschaftsanspruch zu missverstehen. Zwang oder Täuschung werden unserem liebenden Gott nicht gerecht und verraten das Evangelium. Möchten wir andere vom christlichen Glauben überzeugen und ihnen die Botschaft von der Versöhnung nahebringe, müssen wir ihnen mit Wertschätzung und Respekt begegnen. Toleranz, die so wichtig ist für das Zusammenleben in unserer multireligiösen Gesellschaft, entspricht dem Grundsatz christlicher Freiheit. Ein treues, öffentliches Zeugnis für Christus wird dem Heiligen Geist genügen, um daraus Frucht hervorzubringen.
Der Botschafterauftrag für die Versöhnung nimmt in besonderer Weise die persönliche Beziehung zu anderen Menschen in den Blick. Das göttliche Handeln ermutigt uns, den Weg der Versöhnung selbst zu beschreiten und denen die Hand zu reichen, die wir weniger gut leiden können oder von denen wir nichts mehr wissen wollen. Gott sah alle Menschen als hinreichend würdig für die Versöhnung an – das sollte auch für uns in der Einschätzung anderer gelten.
Versöhnung heißt Platzwechsel. Gott tauschte zu unseren Gunsten den Platz mit uns. Jetzt sind wir dran. Tauschen wir doch einmal den Platz mit einem anderen Menschen. Schaffen wir Vertrauen und Versöhnung, indem wir uns in einen anderen Gedanken einfühlen, von einer anderen Position aus denken, an Lasten anderer mittragen oder an der Freude und am Glück anderer teilhaben.
Und der Friede Gottes, welcher höher ist als alle Vernunft, bewahre eure
Herzen und Sinne in Christus Jesus.
Verfasser Predigttext: Vikar Müller