Predigt Exaudi 24.5.2018 / Jer 31,31-34
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Predigt Exaudi 24.5.2018 / Jer 31,31-34
Predigttext: Johannes 17, 20-26
31 Siehe, es kommt die Zeit, spricht der Herr, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen, 32 nicht wie der Bund gewesen ist, den ich mit ihren Vätern schloss, als ich sie bei der Hand nahm, um sie aus Ägyptenland zu führen, mein Bund, den sie gebrochen haben, ob ich gleich ihr Herr war, spricht der Herr; 33 sondern das soll der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel schließen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein. 34 Und es wird keiner den andern noch ein Bruder den andern lehren und sagen: »Erkenne den Herrn«, denn sie sollen mich alle erkennen, beide, Klein und Groß, spricht der Herr; denn ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken.
Gnade sei mit euch und Friede von Gott, unserem Vater, und dem Herrn Jesus Christus. Amen.
Liebe Gemeinde!
Alles neu macht der Mai, so sagen wir. Im Frühling erwacht die Natur und mit ihr erwachen die Lebenskräfte beim Menschen. Alles neu macht der Mai. In diesem Jahr gilt das besonders. Nach dem Lockdown der letzten Wochen mit Einschränkungen und Kontaktverboten atmen wir auf, sehnen wir uns nach Begegnung - eine Art Wiederbelebung aus der Corona-Erstarrung.
Noch ist nicht alles möglich, manche Beschränkungen bleiben. Wie lange noch? Alles neu im Mai? Auch andere Neuanfänge haben es mitunter schwer. Noch mal neu beginnen mit unserer Ehe, aber wohin mit den alten Verletzungen? Ein Neuanfang mit den Kindern - wäre schön, aber sie haben den Kontakt abgebrochen. Nach all dem Ärger im Beruf hoffe ich auf die neue Stelle. Was aber, wenn sich die alten Geschichten an der neuen Stelle nur wiederholen? Die Gefahr besteht, dass der Neubeginn nur zu einer Neuauflage des Alten wird.
Lässt sich das Leben überhaupt grundsätzlich ändern, meine Verhaltensmuster, die Art, wie ich mich selbst sehe, wie ich die Umstände wahrnehme? Und ob wir nach dem Corona-Lockdown wirklich unsere Lebensweise verändern, wie es viele jetzt fordern? Der französische Außenminister war skeptisch. Er hat gesagt: „Die Welt wird sein wie zuvor, nur schlimmer.“ Alles neu macht der Mai?
Nur das Blatt im Kalender umzuschlagen reicht nicht aus.
Einen Neuanfang hatte sich das Volk Israel auch gewünscht. Deren Lage war ganz schön verkorkst. Den Krieg hatten sie verloren und ihr Land gleich mit. Die Weltmacht Babylon hatte das kleine Juda förmlich überrannt. Zwar hatte der König mit Ägypten ein Bündnis geschmiedet, aber das war mächtig schief gelaufen. Jerusalem wurde erobert, die Einwohner nach Babel verschleppt. Dort mussten sie mit sich, mit der Welt und mit Gott neu klar kommen. Vom Leben abgeriegelt, gefangen gehalten - ein Lockdown besonderer Art.
Wenn die Not groß ist, gibt es genügend Leute, die immer schon gewusst haben, wer schuld ist. Das kennen wir auch aus unseren Tagen und unseren Talkshows. Ihr habt falsche Entscheidungen getroffen, die falsche Politik gemacht. Solche Reden wurden auch damals geführt, eine Mischung aus Wahrheit, Vorwürfen und Rechthaberei.
Nur, Vorwürfe helfen nicht, vor allem nicht, wenn die Lage verkorkst ist. Wenn ich persönlich in der Krise stecke, hilft es nicht, wenn mir Leute vorhalten, was ich hätte besser machen können. Was ich brauche, ist ein Blick nach vorn, eine Vision, wie es weitergehen kann, eine Vorstellung davon, wie ein Neuanfang gelingen kann.
Die Juden in Babylon erreicht ein Brief aus der Heimat, geschrieben vom Propheten Jeremia. Dieser hatte jahrelang im Auftrag Gottes gewarnt. Jahrelang hatte er an den Bund mit Gott erinnert und an dessen Gebote. Daran hängt die Zukunft, hatte Jeremia gemahnt.
Nur wenige hatten ihm zugehört. Zu selbstsicher sind die Menschen gewesen: Jeremia, du übertreibst. So lange der Tempel in Jerusalem steht, besteht der Bund mit Gott. Zweifelst du etwa an Gott und seinen Zusagen? Jeremia hätte das Recht gehabt, Vorwürfe zu erheben: Ich habe es euch doch gesagt, aber ihr wolltet ja nicht hören.
Aber so redet Jeremia nicht. Er eröffnet dem Volk eine Perspektive, er hat die Vision eines Neubeginns. Wir haben die Verse aus Jeremia 31 gehört. Man nennt diesen Abschnitt das Trostbuch an das Volk Israel: Siehe, es kommt die Zeit, spricht der HERR, da will ich mit dem Hause Israel und mit dem Hause Juda einen neuen Bund schließen.
Ein Neustart nach dem Lockdown. Gott fängt mit seinem Volk noch einmal neu an, obwohl die Menschen den alten Bund nicht eingehalten haben, die alte Abmachung, die Gott mit Mose geschlossen hatte, vermasselt haben.
Es fällt auf: Das Neue knüpft am Alten an. Manches vom Alten bleibt in Kraft. Die Absicht Gottes etwa: Ich will euer Gott sein. Dieser Zusage bleibt Gott treu. Davon hat er nichts zurückzunehmen. Bis heute steht er dazu, egal wie verkorkst unser Leben ist, egal wie viel wir an Schuld, an Ignoranz und Rechthaberei angehäuft haben.
Gott hält daran fest: Ich will euer Gott sein. Ich möchte nicht, dass ihr abgeriegelt vom Leben irgendwo in der Fremde sitzt, an Vorwürfen und im Selbstmitleid zu Grunde geht. Ich will euer Gott sein, der wie ein Vater seine Kinder liebt, der euch tröstet wie eine Mutter. Ein Neuanfang unter den alten Voraussetzungen. Ich will euer Gott sein.
Und: Ihr sollt mein Volk sein. Auch das bleibt in Kraft. Der Anspruch Gottes an sein Volk, deren Bestimmung, deren Berufung. Ihr sollt Gottes Volk sein. So leben, wie es zu Gott passt, wie es ihm gefällt. Mit dem Anspruch Gottes bleiben seine Gebote in Geltung, seine Weisungen, die zeigen, wie wir als sein Volk zu leben haben.
Also: Ihr sollt mein Volk sein und deshalb keine anderen Götter verehren, euch nicht an andere Mächte verlieren und von denen erwarten, was nur ich euch geben kann. Ihr sollt mein Volk sein, deshalb meinen Namen in Ehren halten, den Feiertag heiligen, die Wahrheit lieben, das Leben, den Besitz, die Ehe, die Familie achten.
Jesus fasst die Gebote bekanntlich so zusammen: Du sollst Gott lieben und deinen Nächsten wie dich selbst. Das sagt er nicht, um uns das Leben zu vermiesen, sondern damit unser Dasein einen Sinn bekommt und das Zusammenleben unter uns gelingt. Bei allen Neuanfängen, die wir versuchen, brauchen wir Maßstäbe, wir brauchen eine Vorstellung von dem, wie es gut werden kann, was ist uns wichtig, welches Ziel haben wir? Ohne dem wiederholen wir das Alte nur. Dann stimmt das doch: Die Welt wird sein wie zuvor, nur schlimmer.
Auf der Suche nach dem, wie unser persönliches Leben oder das Überleben in einer globalisierten Welt gelingen kann, werden wir an dem nicht vorbei kommen, was Gott uns zu sagen hat, werden wir die Weisungen, die der Erfinder des Lebens gibt, beachten müssen. Wenn ihr euch daran nicht haltet, wird es mit dem Neuanfang nichts, sagt Jeremia. Diese Spielregeln Gottes, seine Gebote, gelten auch für den neuen Bund, sie gelten für alle unsere Neuanfänge.
Was aber ist dann das Neue am neuen Bund, wenn so viel vom alten dabei ist? Neu ist, wie er zum Tragen kommt. Der alte Bund lebte vom Gesetz, in Stein gehauen. So hatte es jeder in Israel vor Augen. Es gab Rechtsgelehrte, die die Gebote auslegten und daraus weitere Vorschriften ableiteten, aber eben auch die Gebote verschärften oder verdrehten oder missdeuteten.
Das Gesetz in Stein gehauen konnte schnell zur Formsache werden. Das hatte Jeremia angeprangert. Halbherzig und oberflächlich wurde der Glaube gelebt. Halbherzig wurden die Gottesdienste gefeiert. Herzlos ging man mit den Schwachen und Bedürftigen um, den Witwen und Waisen, den Ausländern und Rechtlosen, für die Gott besondere Zuwendung gewollt hatte.
So wurde der Glaube zu einer hohlen, leeren Form. Innerlich blieben die Menschen dem Willen Gottes gegenüber unberührt. Das hat den Bundesbruch hervorgerufen. Das soll anders werden, sagt Jeremia. Die neue Art, wie Gott mit uns in Verbindung tritt, wird nicht von außen an den Menschen herangetragen, sondern in uns hineingelegt. Nicht mehr nur Formsache soll der Bund sein, sondern Herzenssache. Gott stellt uns sein Gesetz nicht vor Augen, sondern legt uns seinen Willen ins Herz: Das soll der Bund sein, spricht der HERR: Ich will mein Gesetz in ihr Herz geben und in ihren Sinn schreiben, und sie sollen mein Volk sein, und ich will ihr Gott sein.
Und weiter spricht der HERR: Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken. Der neue Bund beruht auf Vergebung. Das war beim alten Bund auch schon so. Dort war die Vergebung an das Opfer im Tempel gebunden.
In Babel gab es keinen Tempel und kein Opfer. Da blieb das Volk auf seiner Schuld sitzen, blieb es bei Vorwürfen und Schuldzuweisungen. Vergebung ohne den Tempelkult ist das Neue am neuen Bund und zugleich die Chance für einen wahren Neuanfang.
Vorwürfe nageln mich auf meine Schuld fest, behaften mich bei dem, was verkehrt gelaufen ist. Das hilft nicht weiter. Verharmlosung oder gar Verschweigen dessen, was gewesen ist, hilft auch nicht, weil es Selbstbetrug ist und wir durch Verharmlosung den Opfern nicht gerecht werden, es keine Versöhnung mit ihnen geben kann.
Gott dagegen möchte, dass wir zu dem stehen, was in unserem Leben schiefgelaufen ist, aber dass wir dort nicht stehen bleiben. Er will Schuld vergeben und bereinigen, was zwischen uns und ihm steht, was uns voneinander trennt. Ich will ihnen ihre Missetat vergeben und ihrer Sünde nimmermehr gedenken. So wird ein Neuanfang möglich.
Nach christlichem Glauben ist Vergebung nicht mehr an den Tempel gebunden, sondern an Jesus Christus. In Jesus verbündet sich Gott auf neue Weise mit uns Menschen, ja wird er selbst ein Mensch. In Jesus erträgt er, was Menschen einander an Leid zufügen und an Schuld auf sich laden. Er erträgt mit seinem Sterben am Kreuz das Gericht, damit wir Gnade erfahren. In den Abendmahlsworten sagt Jesus: Der Kelch ist das Zeichen des neuen Bundes und Vergebung wird möglich, weil mein Blut vergossen wurde. Wenn wir in unserm Leben nicht nur die alten Geschichten wiederholen wollen, nicht unbeirrt die alte Verhaltensmuster weiter pflegen und dabei von einer Krise in die nächsten stolpern wollen, müssen unsere Neuanfänge anders werden.
Es gehört Mut dazu, sich seiner Geschichte zu stellen, seinem Fehlverhalten, den Verletzungen, die mir zugefügt worden sind, die ich anderen zugefügt habe. Aber nur so kann uns der Neubeginn wirklich weiterführen, statt dass wir uns nur im Kreis drehen.
Das Angebot Jesu lautet: bring es zu mir. Gib es mir, gib es mit an mein Kreuz, lass dir vergeben und lass dich von meiner Liebe heilen. Schau, was ich für dich eingesetzt habe. Das bist du mir wert. Hab keine Angst, deinem Scheitern zu begegnen, ich halte dich.
Diese Art von Vergebung macht den neuen Bund aus und gelebt wird er als eine persönliche Gottesbeziehung. Es will Herzenssache sein, nicht Formsache. Diese Beziehung wird getragen von Vertrauen und Liebe. Das kann nur von Herzen kommen. Vorschriften und Regeln, Pflicht und Tradition gehören dazu, aber genügen dem nicht.
Alles neu macht der Mai. Wirkliche Erneuerung kann uns nur Gott schenken, weil er uns in Christus nahe gekommen ist, weil er Schuld vergibt, weil er das Herz verändern will. Und was so durch den Glauben beginnt, soll sich auswirken auf alle Lebensbezüge, soll Kreise ziehen und zu einem Prozess der Erneuerung werden.
Höre nie auf, neu anzufangen, und fange nie an, aufzuhören. Glaubende haben es leichter, sich auf einen solchen Weg einzulassen, weil sie sich auf Gott berufen, der auch nicht aufhört, mit uns neu anzufangen.
Der Friede Gottes …