Predigt Kantate 10.05.20 - 2. Chro 5, 2-14
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Gottesdienst Kantate - Ev.-Luth. Christuskirchgemeinde ChemnitzPredigt 10.05.20 - Kantate 2. Chro 5, 2-14
Gnade sei mit euch und Friede von Gott unserem Vater und dem Herrn Jesus Christus. Gebet
Liebe Gemeinde,
13. April 1742. In Dubiln wird Händels Messias uraufgeführt. Es wird berichtet, König Georg sei von der Musik ergriffen beim Halleluja von seinem Platz aufgesprungen und - weil sich der König erhob – taten alle anderen im Publikum es ihm gleich.Musik, die ergreift, die förmlich vom Hocker reißt - eine Erfahrung, quer durch die Generationen. Freunde klassischer Musik erleben das genauso wie Jugendliche beim Rockkonzert. Musik spricht etwas in uns an, was tiefer liegt, was unser gesamtes Menschsein berührt: Körper, Seele und Geist - Herzen, Mund und Hände.Musik bringt etwas in uns zum Klingen, löst Resonanz aus. Wir schwingen im Takt, summen eine Melodie, haben ein Lied im Ohr, das zum Ohrwurm wird. Musik, die ergreift. Sie erweitert meinen Raum. Ich fühle mich frei, erhaben, ergriffen von etwas Größerem.Wegen dieser Wirkung ist Musik eng mit Religion verbunden. Der christliche Glaube ist ohne Lieder gar nicht denkbar. Die frühe Kirche ist darin der jüdischen Praxis gefolgt und hat diese weitergeführt bis zur Kirchenmusik unserer Tage.Dass Gott mit Liedern zu loben ist und Musik zu seiner Ehre erklingt, davon ist in der Bibel oft zu hören, dazu fordern uns die Psalmen immer wieder auf. Gott scheint Musik zu mögen, er hat daran Freude. Ähnlich wie die Musik vermag auch der Glaube Menschen zu ergreifen, Kräfte freizusetzen, Grenzen zu überschreiten, mit mir selbst und mit anderen in Beziehung zu sein.
Von einer besonders ergreifenden, geistlich-musikalischen Erfahrung berichtet der Chronist im 2. Buch der Chronik. Den Text haben wir als Lesung schon gehört. Der Hintergrund: König Salomo hat in Jerusalem den Tempel bauen lassen, ein Haus für Gott. Nach langer Bauzeit kann das Gebäude endlich eingeweiht und seiner Bestimmung übergeben werden.In einer feierlichen Prozession ziehen der König und die Ältesten, die Priester und Leviten zum Tempel. Sie führen die Bundeslade und die heiligen Geräten mit sich. Diese hatten bisher in der Stiftshütte ihren Platz, jenes Zelt, das die Israeliten schon auf dem Weg durch die Wüste mit sich geführt haben.Das Zelt symbolisierte die Gegenwart Gottes. Die Bundeslade sollte den Thron Gottes abbilden, über dem seine Heiligkeit förmlich schwebt. In der Bundeslade lagen die zwei steinernen Tafeln mit den 10 Geboten. All das wurde mit der Prozession in den Tempel getragen, ins Allerheiligste. Zukünftig sollte dort die Heiligkeit Gottes zuhause sein und von den Menschen dort gefeiert werden.Als einen geheimnisvollen Moment des Einklangs erleben die Feiernden das Musizieren und Singen zur Ehre Gottes. „Und es war, als wäre es einer, der trompetete und sänge, als hörte man eine Stimme loben und danken dem Herrn“ so wird es im Text berichtet.Eine ergreifende Erfahrung, weil ein Klang entsteht, weil Einklang besteht. Die verschiedenen Instrumente und Stimmen finden zueinander, sie werden eine Einheit und sie werden eins darin, Gott zu loben. Die sogenannte Gnadenformel erklingt: Er ist gütig und seine Barmherzigkeit währet ewig. Es war als wäre es einer. Einklang, der entsteht, sich ausbreitet und die Zuhörenden ergreift.
Nun könnte man meinen, die Musiker haben ihre Sache einfach gut gemacht, haben eine tolle Aufführung hingelegt, eine krasse Show abgeliefert, wie junge Leute sagen würden. Und bestimmt haben sie ihre Sache, ihre Musik, gut gemacht, lange geübt, ihre Instrumente gut gestimmt, ihre Stimmen gut aufeinander abgestimmt.Dennoch, das Ergreifende, was sich hier ereignet, rührt nicht nur her von musikalischer Professionalität. Hier passiert etwas anderes, tut sich dem Beobachter ein Geheimnis auf, das größer ist als menschliches Können. Auch für uns bleibt es eine besondere Erfahrung, wenn wir merken, es stellt sich Einklang ein, nicht nur beim Musizieren, sondern auch an anderen Stellen, wo wir zusammenkommen, zusammenarbeiten, zusammenleben.Einklang ist keine Eintönigkeit. Eintönigkeit ist langweilig, ist öde, ist ohne Spannung, ohne Dynamik, ohne Kraft. Wenn Krach gemacht wird, klingt alles gleich, eine Geräuschkulisse ist eintönig und noch dazu nervig. Wenn ich jemanden niederschreie und zum Schweigen bringe, ist das alles andere als Einklang, auch wenn dabei am Ende nur noch eine Stimme erklingt, weil die anderen aus Angst oder Kraftlosigkeit verstummen.In der Musik entsteht Einklang trotz verschiedener Stimmen, ja durch verschiedene Stimmen. Diese müssen nicht immer harmonisch sein, im Gegenteil. Musik ergreift uns, wenn eine Spannung aufgebaut und schließlich aufgelöst wird. Aber die Stimmen müssen sich aufeinander einstimmen, das Verbindende suchen, in Resonanz zueinander sein.Erstaunlich, wenn Chorleute sagen: Wer sich streitet, kann nicht gut miteinander Singen. Da fehlt der Einklang. Zugleich ist es eine Erfahrung aus der Coronazeit, wie weit Musik verbinden kann, Grenzen überbrückt. Gemeinschaft entsteht, obwohl sich keiner kennt oder trifft. Da musizieren Musiker gemeinsam im Internet oder über die Straße hinweg von Balkon zu Balkon. So stellt sich Einklang ein und bleibt doch ein Geheimnis. Es lässt sich daran arbeiten und ist doch letztlich unverfügbar.In dieser Geschichte von der Tempelweihe entsteht Einklang im Gottesdienst, im Dienst für Gott. Es gibt verschiedene Ämter und Aufgaben: den König und die Ältesten als Zeremonienmeister, die Priester und Leviten als Liturgen, das Volk als Gemeinde. Es erklingen verschiedene Instrumente und trotz dieser Verschiedenheit hört es sich an wie ein Klang.Schön, wenn das in der Gemeinde gelingt. Leider nicht immer. Gerade in dem, was uns heilig ist, streiten wir oft sehr verbissen, glauben nicht an den Einklang in Vielstimmigkeit, wollen eher selbst festlegen, was wahr ist, statt uns von der Wahrheit ergreifen zu lassen. Lässt sich der Einklang überhaupt herstellen, oder stellt er sich von selbst ein. Oder manchmal eben auch nicht.Einklang in der Gemeinschaft der Glaubenden zu erreichen, ist denke ich ähnlich wie beim gemeinsamen Musizieren. Es bleibt unverfügbar und ist doch von uns, unserer Haltung und unserem Mittun abhängig. Einklang entsteht im Hören aufeinander, indem wir uns aufeinander einstellen oder einstimmen.Der Mitsänger im Chor ist nicht mein Konkurrent, den ich niederschreien muss oder an die Wand singe, sondern wir singen miteinander, wenn auch mit unterschiedlichen Tönen und Tonlagen. In der Gemeinde ist das nicht anders. Und wie es sich im Streit nur schwer gemeinsam singen lässt, so lässt sich auch schwer miteinander glauben, wenn gestritten wird.Helfen kann es, uns bewusst zu machen, was uns verbindet, für wen wir das tun. Uns verbindet die Absicht, Gott zu loben und vor anderen zu bekennen: Er ist gütig und seine Barmherzigkeit währet ewig. In ihm finden wir zum Einklang und das wirkt dann hoffentlich weiter, klingt weiter in unseren Familien und Schulen, auf Arbeit und im Sportverein, in unserem Land und in der Welt.
Die Geschichte von der Tempelweihe berichtet von einer weiteren ergreifenden Erfahrung. Nicht nur die Musik ist beeindruckend, sondern damit einher geht noch etwas: Als sich die eine Stimme der Trompeten, Zimbeln und Saitenspiele erhob und man den Herrn lobte, wurde das Haus erfüllt mit einer Wolke.
Die Wolke knüpft an die Geschichte von der Wüstenwanderung an, so wie die Stiftshütte und die Bundeslade an diese Zeit erinnern. Mit dem Tempel wird die Stiftshütte außer Dienst genommen, die Zeit der Wüstenwanderung ist vorüber. Die Israeliten sind sesshaft geworden, und auch Gott hat nun ein Haus bekommen.In der Wüste war die Wolke das Zeichen für den mitgehenden Gott. Den Menschen war bewusst, wir sind nicht auf uns allein gestellt, wissen uns von Jahwe begleitet und umgeben. Diese Erfahrung zieht nun sichtbar, in Form der Wolke in den Tempel ein. Die alte Erfahrung wird mit dem neuen Ort verknüpft und dort weitergeführt. Jetzt ist Gottes Gegenwart hier zu erleben. Sie wird im Gottesdienst gefeiert und im Opfer zelebriert.Für Christen ist Gott nicht mehr im Tempel oder in der Wolke zu finden. Wir schauen auf Christus. In ihm ist uns Gott nahe gekommen. Für uns sind die Erfahrungen des Volkes Israel in der Geschichte Jesu präsent und in der Gemeinde erfahrbar. Paulus geht sogar so weit und sagt: Wir sind Gottes Tempel - als Gemeinde aber auch als einzelne. Wohnstatt des heiligen Geistes. Gott will bei uns einziehen, in unserem Leben Wohnung nehmen. Er will uns so nahe kommen, dass unser Leben umgestaltet wird und wir so in Einklang kommen mit ihm, mit uns selbst und mit unseren Mitmenschen.Denn der Tempel wurde auch gebaut, weil den Menschen klar war, wir erleben nicht nur Einklang, wir singen nicht nur Halleluja. Es gibt so manches, was diesen Einklang stört und zunichte macht. Aber dort, wo Gott einzieht, wo er angebetet wird, sein Wort gehört und ihm geglaubt wird, da finden Menschen zu einander und sie finden zu sich, weil sie zu ihm gefunden haben, von ihm ergriffen sind. Auch das ist so ein Geheimnis, nicht machbar, wohl aber erfahrbar.Der Bericht von der Tempelweihe erzählt dabei noch von einer kleinen Episode mit Augenzwinkern, die ich Ihnen nicht vorenthalten möchte. Vermutlich hatte der Chronist Humor und Gott hat den auch. Die Zeremonie schreitet voran, alle Abläufe sind geplant. Jeder weiß, was er zu tun hat, fast wie beim Fernsehgottesdienst. Und dann heißt es: die Priester konnten nicht zum Dienst hineintreten wegen der Wolke, denn die Herrlichkeit des Herrn erfüllte das Haus.Die Zeremonie wird gestört, Gott selbst unterbricht das Protokoll. So ist das manchmal, wenn Gott eingreift oder bei mir einzieht. Da geht es nicht mehr nach unserem Plan, sondern nach seinem Willen und das ist gut so. Die Störung hat etwas Heilsames.Statt dass die Priester agieren und Betrieb machen, geben sie der Gegenwart Gottes Raum. Sie halten sich zurück, damit er wirken kann. Nicht sie greifen ein sondern lassen sich ergreifen von dem, was Gott hier tut. Das möchte ich gern lernen, mich unterbrechen zu lassen, damit Gott mehr Raum bekommt, damit seine Gegenwart erfahrbar wird.Die Tempelweihe, eine geistlich-musikalische Erfahrung der besonderen Art, so ähnlich ergreifend wie damals in Dublin, als es König Georg ergriff und er beim Halleluja aufspringen musste. Schön, wenn Menschen solches erleben, nicht nur der Musik wegen, sondern weil sie etwas von dem spüren, was sich damals im Tempel ereignet hat: Gott wird gegenwärtig und es entsteht Einklang. Ergreifend, wenn das passiert.